
Lithium
2025
Publikation
Die rein literarische Publikation Lithium versammelt Texte über Brüche im Selbst, Klinikaufenthalte und das Ringen um Stabilität. Der autofiktionale Text verbindet Prosa mit lyrischen Ansätzen. Trotz seiner fragmentarischen Form ist er eine geschlossene Einheit; die einzelnen Textstücke nehmen Bezug aufeinander und bilden einen gemeinsamen Kosmos.
Auszüge
Ich habe Angst, dass sie es nicht schafft - dass sie noch nicht soweit ist und in ein paar Tagen wieder hier ankommt. Mit ihren Koffern und ihrer Kamera. „Wenn du es nicht wirklich willst, bist du schneller wieder hier als du gucken kannst.“ - das hört man hier von allen. Und es stimmt. Ich habe Angst, dass sie stirbt, wenn sie entlassen wird.
Es schneit und ich laufe von Gebäude B, wo sich mein Schlafzimmer befindet, zu Gebäude A - dort ist der Speisesaal. Mein Einzeltherapeut kommt mir entgegen. Er lächelt. Er lächelt mich an. Der asphaltierte Weg ist schneebedeckt. Herr R. greift in den Schnee, formt einen Schneeball und wirft ihn mir entgegen. Er lacht - ich auch.
Der stumme Befreiungsakt – wie gefrorener Atem, der sich unbemerkt auflöst. Unser Recht, in die Stille zu entfliehen. Fahr uns in den Graben. Lass die stillen Zeugen sprechen – die Narben, unser Antidot. Das Knistern von schwarzem Holz. Die Zweige singen. Mein Wald, der letzte Zufluchtsort. Es kommt näher. Noch eine Tablette. Meine Hände zittern. Noch ein Schluck Wasser. Valium zum Trauern? Nein, zum Sterben. Schließ die Tür. Sie dürfen mich noch nicht finden.
Sie fällt zurück. Ich bin schon längst nicht mehr da und der Stapel Karten im Gemeinschaftsraum spielt Durak von allein.
Photo Credits: Eunjeong Kim